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Historie der Bremer Gesundheitspolitik

Von den Anfängen bis zur Gegenwart

Seit seiner Gründung im Jahr 1928 spielt das Bremer Gesundheitsamt eine zentrale Rolle in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Die Wurzeln reichen jedoch bis ins Jahr 1821 zurück, als erste Institutionen begannen, gesundheitliche Aufgaben wahrzunehmen. Erfahren Sie mehr über die Entwicklung von Gesundheitskommissionen und die Herausforderungen des modernen Gesundheitswesens sowie die bedeutenden Meilensteine, die das Gesundheitsamt geprägt haben.

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Vor 1821

Vorläufer des Gesundheitsamtes

Gesundheitliche Fragestellungen werden von zwei Kommissionen bearbeitet, die aus Mitgliedern des Senats gebildet werden. Eine Kommission überwacht die Apotheken, während die andere, vergleichbar mit heutigen innenpolitischen Aufgaben, polizeiliche und gesundheitliche Themen anspricht. Später richtet der Senat die "Medicinalkommission" ein, bestehend aus drei Senatsmitgliedern, um sich spezifisch medizinischen Angelegenheiten zu widmen.

1821

Einführung des Gesundheitsrates

Zur Unterstützung des Senats in der öffentlichen Gesundheitspflege wird der "Gesundheitsrath" eingeführt. Anfangs besteht er aus drei Ärzten, einem Chirurgen und einem Apotheker. Der "Gesundheitsrath" berät in verschiedenen Bereichen der öffentlichen Gesundheit.

Beispiel für seine Tätigkeit: Aufgrund drohender Choleragefahr werden 1831 und 1834 die öffentlichen Festivitäten zum "Andenken an den Sieg bei Leipzig 1813" über Napoleon auf Veranlassung des "Gesundheitsrathes" abgesagt. Dieser Schritt erinnert an heutige Lockdown-Maßnahmen während der Covid-Pandemie.

1868

Ausgliederung gesundheitlicher Aufgaben

Gesundheitliche Belange werden aus der Polizei-Deputation ausgegliedert und in eine neu geschaffene "Deputation für öffentliche Gesundheitspflege" überführt.

1871

Einführung der Sanitätsbehörde

Einführung der "Sanitätsbehörde" zusätzlich zur "Medicinalkommission" des Senats und zum "Gesundheitsrath". Unter ihrer Aufsicht stehen Medicinalämter bei der Polizeiverwaltung, Polizeiärzte, Impfärzte, Untersuchungsärzte für Auswandererschiffe und ein Medicinalchemiker in der neu eingerichteten "chemischen Station", der Trinkwasserproben auf schädliche Stoffe analysiert. Die Sanitätsbehörde behandelt von Anfang an eine Vielzahl gesundheitlicher Fragestellungen.

1893

Gründung des Bakteriologischen Instituts in Bremen

Aufgrund der Sorge vor einem Cholera-Ausbruch wie in Hamburg 1892 wird das Bakteriologische Institut in Bremen gegründet. Dieses wird 1904 in Hygienisches Institut umbenannt. Aus der "chemischen Station" der Sanitätsbehörde entwickelt sich das eigenständige "Chemische Laboratorium".

1920

Ausbau des Gesundheitswesens in Bremen

Der Gesundheitsrat umfasst nun 10 Ärzte und einen Apotheker, unterstützt von Schulärzten und Schulschwestern. In den drei Medizinalämtern für Bremen, Vegesack und Bremerhaven arbeiten Kreisärzte, Kreistierärzte, Impfärzte und Hafenärzte. Die Medizinalämter führen umfassende Prüfungen durch, einschließlich Apothekergehilfen, Krankenpflegepersonen (bereits 1920 geschlechtsneutral benannt), Säuglings- und Kleinkinderpflegerinnen, Wochenpflegerinnen, Fleischbeschauer und Trichinenschauer. Zusätzlich gibt es einen Weinkontrolleur und einen Wohnungsinspektor. Die zugehörigen Institute sind das Chemische Staatslaboratorium, das Hygienische Institut und die "Desinfektionsanstalt" , angesiedelt auf dem Areal des Krankenhauses Bremen Mitte. Zum behördlichen Gesundheitswesen gehören auch drei "Beschauämter für ausländisches Fleisch" am Bremer Schlachthof, im bremischen Hafen und in Bremerhaven.

1928

Gründung des Landesgesundheitsamtes Bremen

Das neu gegründete Landesgesundheitsamt Bremen übernimmt die Aufgaben des Gesundheitsrats, der Sanitätsbehörde, der Medizinalämter und der Kreisärzte. Diese werden aufgelöst, ebenso wie die eigenständigen Institute wie das chemische Staatslaboratorium, das Hygienische Institut, die Desinfektionsanstalt und die Beschauämter für ausländisches Fleisch, die dem Landesgesundheitsamt unterstellt werden.

1933-1945

Gesundheitsamt in der NS-Zeit

Die Nationalsozialisten etablieren deutschlandweit gleichgeschaltete Gesundheitsämter mit dem Auftrag der "Erb- und Rassenpflege". Mitarbeiter:innen des Gesundheitsamtes Bremen beteiligen sich zwischen 1933 und 1945 an Zwangssterilisationen und der Deportation psychisch kranker und geistig behinderter Menschen zur Euthanasie.

Aufarbeitung nach der NS-Zeit: Nach dem Ende des Nationalsozialismus werden diese Verbrechen lange Zeit nicht öffentlich thematisiert. In den neunziger Jahren startet eine Initiative in Bremen, angeführt von ehemaligen Patient:innen, Gesundheitspersonal und engagierten Bürgern, um die Erinnerung an die medizinischen Verbrechen im Dritten Reich durch ein Mahnmal zu bewahren. Unterstützt wird diese Initiative vom Bremer Gesundheitsressort, dem Klinikum Bremen Ost (ehemals NS-Nervenheilanstalt) und dem Gesundheitsamt. Seit dem Jahr 2000 erinnert das Mahnmal "Irrstern" auf dem Klinikgelände an die nationalsozialistischen Verbrechen an Kranken und behinderten Menschen.

Die Installation wurde von einer Arbeitsgruppe des Gesundheitsamtes begleitet, die auch den Text für den "Irrstern" im Gesundheitsamt entwickelte. Vor der Aufstellung wurde das Kunstwerk in einer Mitarbeiterversammlung des Amtes vorgestellt und von den Mitarbeitenden befürwortet, als Zeichen, sich nie wieder instrumentalisieren zu lassen.

Nach 1945

Nachkriegszeit und Neuausrichtung

Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht das Gesundheitsamt in das historische Ansgarhaus ein, die ehemalige Kinderklinik aus dem Jahr 1861. Die umstrittenen Maßnahmen zur "Erb- und Rassenpflege" werden eingestellt und später aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz abgeschafft. Das Gesundheitsamt verliert seine führende Rolle im öffentlichen Gesundheitsdienst und wird dem zuständigen Senatsressort für Gesundheit unterstellt.

1958

Gebäudeerweiterungen

Die Gebäude des Gesundheitsamtes an der Ecke Humboldtstraße und Horner Straße werden um einen zweiflügeligen Bau erweitert. Dieser dient zunächst als Tuberkulose-Beratungsstelle mit einer Röntgenabteilung zur Diagnose bestehender Tuberkulose-Erkrankungen. Im Jahr 1999 wird der Pavillon auf dem Gelände errichtet.

Nach 1960

Neuere Entwicklungen des Gesundheitsamtes

Bis in die 80er Jahre lag der Fokus des Gesundheitsamtes hauptsächlich auf der Überwachung potenzieller Gesundheitsrisiken und der Bekämpfung akuter Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit. Ab Ende der 80er Jahre erfolgte eine Neuorientierung hin zu verstärkten Fürsorgeaufgaben, die der Gesundheitsförderung dienen, sowohl für die Allgemeinheit als auch für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen.

Zu den neuen Aufgabenbereichen gehören die Unterstützung durch Familienhebammen, die Koordination gemeindepsychiatrischer Angebote, die Förderung von Selbsthilfegruppen und die Abschaffung der obligatorischen Untersuchungen von Prostituierten auf Geschlechtskrankheiten im Jahr 1988. Stattdessen wurden freiwillige Beratungsangebote für geschlechtlich übertragbare Krankheiten eingeführt, einschließlich des neu auftretenden AIDS. Die humanitäre Sprechstunde bietet kostenlose ärztliche Untersuchungen für papierlose Menschen an, bis sie von einem neuen Träger übernommen wurde. Neue Fördermaßnahmen umfassen Gesundheitsfachkräfte an Schulen und Projekte zur Förderung gesundheitsfördernder Strukturen in sozial benachteiligten Quartieren.

Zusammenfassung

Die Geschichte des Bremer Gesundheitsamtes ist facettenreich und spannend, geprägt von einer kontinuierlichen Anpassung an gesellschaftliche und gesundheitliche Herausforderungen. Von den frühen Kommissionen des 19. Jahrhunderts über die Gründung des Landesgesundheitsamtes 1928 bis hin zu den bedrückenden Zeiten des Nationalsozialismus, in denen es tragischerweise für rassenideologische Zwecke missbraucht wurde, zeigt sich eine komplexe Entwicklung. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste das Amt seine Rolle neu definieren und im Rahmen eines demokratischen Systems seine Aufgaben anpassen. Besonders ab den 1980er Jahren vollzog sich ein deutlicher Wandel hin zu präventiven und fürsorglichen Aufgaben.

Heute engagiert sich das Gesundheitsamt weiterhin aktiv für die Gesundheit der Bremer Bevölkerung durch innovative Projekte. Diese kontinuierliche Entwicklung zeigt, dass das Gesundheitsamt nicht nur historisch gewachsen ist, sondern auch dynamisch auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft reagiert und sich stetig weiterentwickelt, um Gesundheit und Wohlbefinden für alle Bürger:innen zu fördern.

Vertiefende Informationen

Tätigkeitsbereich des Gesundheitsraths (Deputationsbericht, 1838)

"Zu den Gegenständen seiner Achtsamkeit und thätigen Hülfe sollte namentlich gehören: Verhütung und Minderung schädlicher Einwirkung auf die Gesundheit durch Naturkräfte, z. B. bei ansteckenden Krankheiten und Epidemien, Verhitung und Minderung aller das Leben und die Gesundheit der Staatsgenossen bedrohenden Gefahren, …Aufsicht über die zur Wiederherstellung der Gesundheit dienenden oder doch damit in Verbindung stehenden öffentlichen Einrichtungen und Anstalten, Fürsorge für Geburtshülfe durch Anstellung geprüfter und Entfernung untauglicher Geburtshelfer und Hebammen, sowie für schleunige Hülfe bei besonderen Unglücksfällen, Theilnahme an den Prüfungen der Aerzte, Prüfungen der Wundärzte, Apotheker und Hebammen, Visitation der Apotheken usw."

Die Bremer Sanitätsbehörde hatte sich im erstem Jahr ihres Bestehens (1871-1872) mit folgenden Themen befasst:

  • Planung der Bremer Kanalisation,
  • Untersuchung der Wasserqualität der Bremer öffentlichen Brunnen,
  • Vorbereitung von öffentlichen Schlachthäusern,
  • Einrichtung einer Beobachtungsstation für die Beobachtung der Pockenkrankheit Verdächtiger, insbesondere Auswanderwillige,
  • Regelmäßige Untersuchung der in Bremen ankommenden Auswandererzüge gegen die Einschleppung von ansteckenden Krankheiten in Bremen und auf den Auswandererschiffen,
  • Einführung der Leichenschau und Einrichtung einer Mortalitätsstatistik sowie einer Morbiditäts-Statistik, in der Erkrankungshäufigkeiten in Bremen zusammengetragen werden.
  • Anschaffung von Rettungswagen, Trageliegen und "Rettungsapparate zur Wiederbelebung von im Wasser verunglückten Personen",
  • Verlegung der Abdeckerei aus dem Viertel.
  • Überwachung von Wirtschaften und Herbergen zur Verhütung von sanitarischen Übelständen. Zwangsweise Räumung von ungesunden Wohnungen, insbesondere Verbot der Vermietung von feuchten und dumpfen Kellerräumen,
  • Überwachung der gewerblichen Anlagen und Gewerbe mit gesundheitsrelevanten Tätigkeiten (z.B. Schlachtereien),
  • Aufsicht über den Lebensmittelverkauf, Bestrafung des Verkaufs von ungesunden oder verdorbenen Lebensmitteln, Verhinderung des Verkaufs gefährlicher Arznei- oder Geheimmitteln,
  • Maßregeln zur Entdeckung von Trichinen im Schweinefleisch.

Besondere Aufmerksamkeit liegt auf Maßnahmen zur Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten:

  • In zwei Fällen wird die Ausbreitung von Scharlach und Diphterie durch Absperrung, Desinfektion und Verhinderung des Schulbesuchs seitens der Geschwister der kranken Kinder entgegen zu wirken versucht. Maßnahmen, die einem bekannt vorkommen!
  • Die Ausbreitung der Pocken wird durch Absperrungen, Desinfektionen und Nachimpfungen von Kontaktpersonen bekämpft.
  • Die Ausbreitung der Syphilis wird durch "regelmäßige Untersuchungen der der Prostitution ergebenen Frauenzimmer" entgegengewirkt. (Diese Pflicht von Prostituierten, sich regelmäßig auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen, wurde erst im Jahr 1988 abgeschafft. Freiwillige Untersuchungen gibt es nach wie vor.)
  • Zur Eindämmung der Tollwut müssen Hunde einen Maulkorb tragen.

Erb- und Rassenpflege im Bremer Gesundheitsamt während der Nazizeit.

Im September 1933 wird das Landesgesundheitsamt aufgelöst, sein Leiter entlassen, und die Aufgaben einer neu geschaffenen bremischen "Behörde für das Gesundheitswesen" übertragen. Als Leiter wird ein linientreuer Nationalsozialist bestellt, der später stellvertretender Vorsitzender des "Reichsausschusses zum Schutz des deutschen Blutes" wird. 1934 wird von der NS-Regierung das "Reichsgesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" beschlossen, welches die deutschlandweite Einführung von staatlichen Gesundheitsämtern anordnet. Zusätzlich zu den bisherigen Aufgaben obliegt den neuen Gesundheitsämtern jetzt auch die Aufgabe der "Erb- und Rassenpflege". Dementsprechend wird in Bremen aus der "Behörde für das Gesundheitswesen" 1935 pflichtgemäß das bremische "Staatliche Gesundheitsamt".

Die neu eingerichtete "Abteilung für Erbgesundheit" ist für die praktische Umsetzung des "Gesetzes ?zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zuständig. Menschen mit "minderwertigem Erbgut" sowie "krankhaften Erbanlagen" sollen an der Fortpflanzung gehindert werden, um so eine "allmähliche Reinigung d?es Volkskörpers u?nd die Ausmerzung v?on krankhaften Erbanlagen zu bewirken" und damit einer drohenden "schweren Entartung des deutschen Kulturvolks" entgegenzuwirken. Gemäß dieser Vorgaben werden Personen des sogenannten "hochwertigen gesunden Volksteils" durch Erteilung der Eheerlaubnis und durch Ehestandsdarlehen, Kinder- ?und Ausbildungsdarlehen gefördert. Gleichzeitig sind die Amtsärzte im Gesundheitsamt berechtigt und befugt, als "ausmerzende Maßnahme" die Sterilisation von "erbkranken" Menschen zu beantragen. Als "erbkrank" gelten Menschen mit psychotischen Störungen, mit erblicher Blindheit oder Taubheit, mit körperlichen Missbildungen sowie Menschen, die als "schwachsinnig" eingestuft werden und schließlich "schwere Alkoholiker". Über die Anträge entscheidet das "Erbgesundheitsgericht".

In Bremen werden zwischen 1934 und 1944 2.665 Menschen zwangsweise sterilisiert. Über 700 Patient:innen der Bremer Nervenklinik werden im Rahmen des "Euthanasie-Programms" in Tötungsanstalten verlegt und dort ermordet. Auch daran waren Mitarbeiter:innen des Bremer Gesundheitsamtes beteiligt.

Folgen
Viele Opfer haben durch die Zwangsoperation fortdauernde körperliche Beschwerden, manche sterben an den Folgen des Eingriffs. Erst 1988 fasst der Deutsche Bundestag einen Entschluss, in dem die Zwangssterilisierungen als "nationalsozialistisches Unrecht" anerkannt und als "Ausdruck der inhumanen nationalsozialistischen Auffassung" vom lebensunwerten Leben geächtet werden. Den Opfern wird "Achtung und Mitgefühl" bezeugt. Trotzdem werden die Opfer der Zwangssterilisierungen bis zum heutigen Tage ?nicht als Verfolgte d?es Nationalsozialismus anerkannt ?und haben s?o keinen Rechtsanspruch ?auf Entschädigung n?ach dem Bundesentschädigungsgesetz.