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Mangelernährung im Alter

Die Themen im Überblick:

Eine bedarfsgerechte Ernährung ist in allen Lebensphasen eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt von Gesundheit und Wohlbefinden. Besonders bei älteren Menschen stellt jedoch die Mangelernährung ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar, sie gilt als eine der häufigsten und am wenigsten beachteten Krankheiten im Alter. Mangelernährung begünstigt andere Krankheiten oder ist sogar deren Ursache und führt zu einer erhöhten Komplikationsrate, verlängert die Genesungszeit und vermindert die Lebensqualität bis hin zu einer gesteigerten Mortalitätsrate. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass nicht nur akut, sondern auch chronisch kranke alte Menschen sehr häufig Ernährungsdefizite aufweisen. Pflegebedürftige ältere Menschen können von chronischer Mangelernährung ganz besonders betroffen sein. Von daher sind an eine altersgerechte Verpflegung in der ambulanten und stationären Pflege besondere Anforderungen zu stellen.

Was ist Mangelernährung?

Für den Begriff Mangelernährung gibt es keine einheitliche Definition. Es werden unterschiedliche Begriffe wie Malnutrition, Fehl- und Unterernährung, Nährstoff - Imbalancen für gleiche Sachverhalte übereinstimmend verwendet. Mangelernährung wird nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) als eigenständige Diagnose beziehungsweise Krankheit (Code E40 bis E46) definiert. Eine schlüssige Begriffserläuterung findet sich in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Demnach ist die Mangelernährung

"ein anhaltendes Defizit an Energie und/oder Nährstoffen im Sinne einer negativen Bilanz zwischen Aufnahme und Bedarf mit Konsequenzen und Einbußen für Ernährungszustand, physiologische Funktionen und Gesundheitszustand".

Im Alter lässt das Durstgefühl nach. Daher ist Mangelernährung oftmals auch mit einer verminderten Flüssigkeitsaufnahme (Dehydratation) verbunden und es kann zur Austrocknung (Exsikkose) mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen kommen.
Die Bezeichnungen Wasting, Kachexie, Sarkopenie, Marasmus und Kwashiorkor sind weitere Begrifflichkeiten (klinisch relevante Formen von Mangelernährung), die eine Mangelernährung charakterisieren.
Eine anhaltende Mangelernährung macht sich in Form einer Gewichtsabnahme und zunächst eher unspezifischen, später charakteristischen Symptomen bemerkbar.

Verbreitung von Mangelernährung

Gesicherte Daten zur Häufigkeit von Mangelernährung im Alter liegen für Deutschland bisher nicht vor. Schätzungen besagen, dass in Deutschland 1,6 Millionen der 19,4 Millionen über 60-Jährigen unter chronischer Mangelernährung leiden. Davon leben 1,3 Millionen zu Hause und 330.000 in Altenpflegeheimen.
Nach dem letzten Ernährungsbericht (Deutsche Gesellschaft für Ernährung 2008) sind knapp zwei Drittel der Bewohner in stationären Einrichtungen der Altenpflege von Mangelernährung betroffen oder gefährdet (ErnSTES-Studie).
Jeder zweite Krankenhauspatient über 75 Jahre ist bei seiner Aufnahme in die Klinik mangelernährt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen, bundesweiten Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Weitere Studien belegen, dass sich der Ernährungszustand von Patienten im Verlauf eines Krankenhausaufenthalts häufig sogar weiter verschlechtert.
Sowohl in Kliniken als auch in Pflegeheimen und in der ambulanten Versorgung wird Mangelernährung noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist aber davon auszugehen, dass sich das Problem Mangelernährung durch den wachsenden Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft noch verschärfen wird.
Für die Behandlung der Folgen von Mangelernährung entstehen im Krankenhaus, im Bereich der Pflege und der ambulanten ärztlichen Versorgung immense Zusatzkosten pro Jahr, nach aktuellen Berechnungen allein für Deutschland circa 9 Milliarden EURO.
In Europa sind rund 30 Millionen Menschen von einer Mangelernährung betroffen. Erstmals hat daher 2009 der Europarat das Thema Mangelernährung bei älteren Menschen auf seine politische Agenda gesetzt. Damit wurde die Grundlage gelegt, Mangelernährung in den Fokus von politischen Entscheidungsträgern zu bringen und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation umzusetzen.

Erkennen und Diagnostik

Nur wenn Mangelernährung frühzeitig erkannt wird, kann entsprechend reagiert werden. Daher sind bereits erste Anzeichen von Mangelernährung ernst zu nehmen. Auffällige Änderungen des Essverhaltens wie Appetitlosigkeit, einseitige Ernährung oder das Auslassen von Mahlzeiten, aber auch Hautveränderungen, Mundtrockenheit, Schwäche, Verwirrtheitszustände und andere können auf Nährstoff- und Flüssigkeitsmangel hinweisen. Ein deutliches Zeichen einer anhaltenden Mangel- bzw. Unterversorgung ist die unbeabsichtigte Gewichtsabnahme (auffällig reduzierte Fettreserven und Muskelmasse) in den letzten Wochen, die einer Abklärung bedarf. Bei älteren Menschen ist jeglicher auffällige Gewichtsverlust ernst zu nehmen und zu hinterfragen. Ein ungewollter Gewichtsverlust in der Größenordnung von 1-2 % in einer Woche, 5 % in einem Monat oder 10 % in sechs Monaten deutet auf Ernährungsprobleme hin. Wichtig ist daher, dass sich ältere Menschen regelmäßig wiegen beziehungsweise gewogen werden.
Da der Ernährungszustand eine sehr komplexe Größe ist, kommen zu seiner Feststellung und Bewertung verschiedene Methoden und Instrumente zum Einsatz:

  • Ernährungstagebuch und Trinkprotokolle
  • Messung von Körpergewicht, Körpergröße, Hautfaltendicke, Oberarm- und Wadenumfang als Verlaufsmessung
  • Standardisierte Erhebungsbögen wie beispielsweise das Minimal Nutritional Assessment (MNA) oder das Instrument zur pflegerischen Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen (PEMU) und andere Screeninginstrumente wie Subjective Global Assessment (SGA) zur Einschätzung des Ernährungszustandes, Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) zum Screening von Mangelernährung im ambulanten Bereich und Nutritional Risk Screening (NRS) zum Screening von Mangelernährung im Krankenhaus, haben sich als aussagekräftige, einfache und zuverlässige Tests zur Abschätzung einer Mangelernährung bewährt
  • Klinische Symptome: viele Symptome können mit Nährstoffdefiziten in Zusammenhang stehen. Sie sind aber im Alter oft wenig spezifisch und können zudem große Ähnlichkeit mit üblichen Alterserscheinungen haben
  • Medikamenteneinnahme: Nebenwirkungen wie Übelkeit, Mundtrockenheit und Appetitmangel können die Ernährungs- und Flüssigkeitsversorgung ungünstig beeinflussen
  • Blutwerte für Proteine, Vitamine, Mineralstoffe
  • und andere

Ursachen und Risikofaktoren

Mangelernährung entsteht in der Regel über einen längeren Zeitraum und wird vielfach erst sehr spät erkannt.
Hauptursache einer Mangelernährung ist eine zu geringe und unausgewogene Nahrungsaufnahme mit einer zu geringen Nährstoffdichte (Bevorzugung von energiereichen, aber ansonsten eher nährstoffarmen Lebensmitteln). Die Gründe für eine unzureichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sind vielfältig und unterschiedlich.

Die häufigsten auslösenden Faktoren:

  • Appetitlosigkeit
  • Nachlassendes Durstempfinden
  • Verminderter Geschmacks- und Geruchssinn
  • Kau- und Schluckbeschwerden
  • Einseitige Ernährungsgewohnheiten
  • Körperliche Beeinträchtigungen, die den Einkauf von frischen Lebensmitteln, die Zubereitung und das Essen selbst erschweren
  • Fehlende Bewegung
  • Geistige Beeinträchtigungen (Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Demenz) und fehlende Motivation zum Essen, Depression
  • Soziale Faktoren (Armut, Einsamkeit)
  • Akute und chronische Krankheiten (Infektionen, Krebs)
  • Nebenwirkungen von Medikamenten

Mangelernährung erwächst oftmals aus der Verkettung verschiedener Faktoren. So entsteht ein Teufelskreis, der von den Betroffenen selbst kaum mehr durchbrochen werden kann.

Folgen von Mangelernährung

Eine nicht erkannte und unbehandelte Mangelernährung kann vielfältige und weitreichende Folgen haben. Sie kann sich im Verlauf praktisch auf alle Organsysteme auswirken. Die Wirksamkeit von Medikamenten kann beeinträchtigt werden. Im Alter können die Folgen von Nährstoffmangel besonders schwerwiegend sein. Sie reichen von allgemeiner Schwäche, Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Gewichtsverlust über erhöhte Infektions- und Krankheitsanfälligkeit, erhöhtes Sturz-, Fraktur- und Dekubitusrisiko bis hin zur Pflegebedürftigkeit und erhöhter Sterblichkeit.

Ernährung als Therapie

Viele Betroffene benötigen professionelle Hilfe durch Ärzte, Ernährungs- und/oder Pflegefachkräfte. Je früher eine Mangelernährung erkannt und ernst genommen wird und eine bedarfsgerechte Ernährungstherapie eingeleitet wird, umso besser ist die Prognose, denn Mangelernährung ist in den meisten Fällen reversibel. Nach der Feststellung des Ernährungszustands muss ein Therapieplan erstellt werden, der die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt. Alle Maßnahmen sollten darauf abzielen, die Ursachen der Mangelernährung weitestgehend zu beseitigen, Energie- und Nährstoffdefizite auszugleichen und stufenweise wieder eine bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr zu erreichen. Sollte dies durch eine normale Ernährungsweise nicht in ausreichendem Maße möglich sein, kann auch eiweiß-, vitamin- und mineralstoffangereicherte Trink- und Sondennahrung (dazu existieren inzwischen abgestimmte Empfehlungen und Leitlinien) als ergänzende Ernährungstherapie zeitweise sinnvoll und hilfreich sein.

Literaturempfehlungen

  • AID Infodienst/Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.). Ernährung im hohen Alter. Ratgeber für Angehörige und Pflegende. Bonn 2010
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Ernährungsbericht 2008
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Qualitätsstandards für die Verpflegung in stationären Senioreneinrichtungen. Bonn 2009
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Kau- und Schluckstörungen im Alter. DGE-Praxiswissen. Bonn 2013
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Kau- und Schluckstörungen in der Klinik. DGE-Praxiswissen. Bonn 2018
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). Leitlinie Enterale und Parenterale Ernährung. Stuttgart (Thieme) 2008
  • Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege. Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege. Osnabrück 2010
  • Heseker H, Odenbach V. Ernährung von Senioren und Pflegebedürftigen. Praxisleitfaden für eine bedarfsgerechte Versorgung im Alter. Hamburg (Behrs) 2005
  • Huhn S. Praxisheft Ernährungsmanagement. Handreichungen zur Umsetzung des Expertenstandards Ernährungsmanagement in der pflegerischen Praxis. Potsdam (DBfK) 2009
  • Löser C, Jordan A, Wegner E. Mangel- und Unterernährung. Strategien und Rezepte: Wieder zu Kräften kommen und zunehmen. Stuttgart (Trias) 2012
  • Marienfeld S, Flerchinger C, Bojunga J. Trink- und Sondennahrung bei Mangelernährung. Indikationen, Produktauswahl, Anwendung. Pflegezeitschrift 69(2016)708-713
  • Menebröcker C. Ernährung in der Altenpflege. München (Elsevier) 2008
  • Menebröcker C, Rebbe J, Keil U. Mir schmeckt`s wieder - Das Kochbuch für alte Menschen. Stuttgart (Trias) 2012
  • Weimann A, Schütz T, Lochs H. Krankheitsbedingte Mangelernährung. Lengerich (Pabst Science Publishers) 2010
  • Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Essen und Trinken bei pflegebedürftigen Menschen. Praxishinweise für den Pflegealltag. Berlin 2017

Ausgewählte Links

(Stand der Informationen 01/2017)